Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an! Kurt Tucholsky
Im Morgengrauen erscheint Saipan am Himmel. Saipan? Das fragen sich jetzt sicher viele und auch wir haben vorher nicht viel über dieses Eiland gewusst. Saipan ist Teil der Inselgruppe der nördlichen Marianen, ist die größte Insel dieser Gruppe und gehört zum US-amerikanischen Außengebiet. Ihre Nachbarinsel Guam ist fast vollständig eine US-amerikanische Truppenbasis, deshalb hatten wir uns für Saipan entschieden, da hier weniger Militärtrubel sein soll.
Bei der Annäherung an die Marina sehen wir allerdings einiges an Trubel. Überall Ausflugsboote, ein wilder Verkehr herrscht hier, Fallschirme an Booten steigen in die Luft, Kitesurfer wirbeln um die Riffe, Windsurfer und Glassbottomboote. Thomas funkt die Küstenwache an, schließlich müssen wir ja einklarieren. Wir werden angewiesen, in die „Marina“ zu fahren. Nachdem wir am Steg, der uns zum Festmachen zugewiesen wurde, abgewiesen werden, machen wir einen Steg weiter fest und treffen auf einen völlig unbedarften Mitarbeiter der Marina, er hält zwar die Leinen in der Hand, scheint aber keine Idee zu haben, dass er die festmachen muss. Marina kann man diese Einrichtung auch nicht nennen, wir hängen längsseits an einem Schwimmsteg, um uns herum nur Ausflugsboote und Motorboote, weiter hinten eine Art Marina mit kleinen Booten. Nun ja, warten wir mal ab. Nach und nach erscheinen die Mitarbeiter der unterschiedlichen Behörden am Steg, keiner wagt sich aufs Boot, die Formalitäten sind im Handumdrehen erledigt. Ein anderer, etwas derangierter, Marinamitarbeiter heißt uns willkommen. Wir erkundigen uns, wo wir Duschen finden. Keine Duschen, keine Toiletten. Die hat der letzte Zyklon zerstört. Arrgh, da hatten wir uns nach zwei Wochen auf See mit streng rationiertem Süßwasser echt drauf gefreut. Warm ist es hier. Sehr warm. Auch sollen wir die Bordtoilette nicht benutzen und geklärt wird ebenfalls, ob wir überhaupt an Bord wohnen können.
Nun müssen wir uns aber erstmal auf das Landleben vorbereiten. Mangels sanitärer Anlagen suchen wir uns Platz unter einem Baum, wo Anja die Klingen wetzt. Es geht um unsere Haare, da muss mal wieder Ordnung rein. Als erstes muss Smutje daran glauben. Nachdem er einen ordentlichen Schnitt verpasst bekommen hat, das Ohr ist auch noch dran, geht’s an Capitanas Pudel. Auch der wird geduldig bearbeitet und am Ende gibt’s eine schöne Dusche mit der Pütz, glücklicherweise gibt’s einen Wasserhahn in der Nähe.
Nun aber los, die Beine müssen nach zwei Wochen bewegt werden. Wir durchqueren einen Gedenkpark der USA zu der auch hier ziemlich verlustreichen Invasion im zweiten Weltkrieg. Über allem baumelt schlapp im Wind eine überdimensionale Ami-Flagge, wir sind tatsächlich in den USA, aber bis jetzt sieht es nicht wirklich danach aus. Auch die Offiziellen waren allesamt Mikronesier. Wir nähern uns dem Ort und können unzählige rosa, türkise und gelbe Ford Mustangs bestaunen. Die scheinen hier der letzte Schrei in der Autovermietung zu sein. Trifft man auf die wenigen Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, sind das Asiaten mit Mundschutz. Wir kommen nach und nach des Rätsels Lösung näher. Saipan ist für Asiaten ein Urlaubsparadies. Während wir auf See von der lästigen Flut an Informationen verschont waren, ist in der Zwischenzeit in China ein Virus ausgebrochen, natürlich mittlerweile in aller Munde: Corona. Aha. Es fühlt sich an, als wären wir in einem Science-Fiction Film gelandet.
Nun denn, dann brauchen wir wohl erst mal Internet. Am Ende landen wir bei McDonalds, wo wir aus dem Staunen nicht herauskommen, wir scheinen wirklich in Asien gelandet zu sein! Familien mit kleinen Kindern mit riesigen Brillen oder Prinzessinnenkleidern, Pokemon oder Mangastyle, aufgebrezelte junge Frauen in Paillettenkleidern mit anständig Rouge im Gesicht, Jungs mit seltsamen Frisuren und T-Shirt-Aufschriften, alle das Handy knapp vor der Nase, auch im Gespräch mit den Freunden. Befremdlich. Abends in der Bar scheinbar Amisoldaten, deren Wortschatz sich auf f…Worte beschränkt. Das Casino vor Ort ein Prunkpalast mit riesigen Drachen, die von der meterhohen Decke des Foyers hängen, uns wild anblinken und glitzern, dezent säuselnde Musik, außen Kräne, um es noch zu erweitern. Eine chinesische Geldwaschanlage, wie wir erfahren, skandalumwittert, gerade was die Arbeitsbedingungen der teilweise hierher verschleppten Chinesen angeht. Gruselig. Aber auf Anraten einer Ladenbesitzerin sollen wir uns eh von Chinesen fernhalten, die übertragen Corona. Ist es wirklich so schlimm? Wir können es nicht wirklich glauben. Aber gut, wir gehen erstmal zum Japaner. Der hat einen riesigen Supermarkt mit Möglichkeit zum Sitzen und Essen, obendrauf ein Hotel und freies Internet. Hier lassen wir uns nieder, um weitere Pläne zu machen, beobachten das Treiben und genießen günstiges Sushi in geschäftiger Atmosphäre. Die Produkte in diesem Supermarkt scheinen auch aus einer anderen Welt zu kommen, Plastik, Plastik, viel rosa und unverkennbar japanisch, was die Verpackungen beinhalten können wir nur raten. Das Pläne-Machen gestaltet sich schwierig, denn auch sie wurden vom Virus angegriffen. Noch in Majuro gab es ein breites Angebot an Flügen von Saipan aus, jetzt ist so einiges gestrichen worden. Nach einigem Hin und Her finden wir aber doch noch etwas, jetzt geht es erstmal nach Vietnam.
Aber ein bisschen Zeit wollen wir dieser schrägen Insel noch geben. Entfernt man sich vom scheinbaren Glitzer und Glamour des Hauptortes kann man nur Staunen. Hier ist der schrittweise Verfall angesagt, Häuser stehen leer oder rotten vor sich hin, müde schleppen sich zerrupfte Hunde über die Straßen. Capitana unternimmt wagemutig eine Wanderung mit Anja, Ziel: der Berg der Insel, doch schon wieder eines dieser seltsamen Phänomene: an einer Weggabelung wollen sie mal auf die Karte schauen, stellen fest, dass zwar beide einen Plan haben, doch irgendwie auch nicht! Die Maßstäbe in den beiden Karten stimmen überhaupt nicht überein und auch die Wege nicht. Keine Menschen unterwegs. Doch irgendwann treffen sie auf einen in einer Art Siedlung. Hilfe-ein Chinese! Hilfsbereit zückt er sein Smartphone und findet den Weg raus. Anja und Capitana stapfen weiter und finden zum Berggipfel. Leider ist die Sicht absolut garnicht da. Nebel und Regen wabert um den Gipfel, nur für einen sekundenbruchteil zeigt sich das Meer, also schnell ein Foto schießen.
Auf der Suche nach einem günstigen Mietwagen begegnen wir einem netten mikronesischen Paar, das uns in ein Gespräch über ihre Inseln verwickelt. Und so stolpern wir wieder über ein Stückchen Heimat am anderen Ende der Welt. Die beiden heißen Hofstätter mit Nachnamen und haben deutsche Vorfahren. Wie die Marshalls gehörten auch die Mariannen vor dem ersten Weltkrieg kurz mal zu Deutschland. Munter fragen wir uns gegenseitig über unsere Heimatländer aus. Mit einem Schmunzeln erklären uns die beiden, dass sie gerne mal nach Deutschland reisen würden, sich aber nicht so recht trauen. Sie haben Angst, dass man sie an der Grenze als Spione verhaftet, da ihr Aussehen so gar nicht zu ihrem Namen passen will… Und auf dem Rückweg zum Boot werden wir mal wieder gefragt, ob wir eine Massage wollen, auch heute wollen wir nicht. Doch wir müssen dann doch ganz breit grinsen, als wir das T-Shirt der asiatischen Masseurin sehen, ganz groß steht da: Matratzenland drauf. Foto!
Zu Viert mieten wir uns am letzten Tag ein Auto, bestaunen verlassene, verrottete Hotels, Vergnügungsparks und alte Radarstationen aus dem blutigen Pazifikkrieg, besonders gruselig muten die „suicide cliffs“ an, Klippen, von denen sich die Japaner 1944 reihenweise in den Tod gestürzt haben, um der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zu entkommen. Aber wir sehen auch wunderschöne, vorgelagerte Inseln und fahren durch saftig grüne Natur, baden in einer menschenleeren Bucht und bestaunen riesige Höhlen. Eine Höhle kann auch beschwommen werden, unzählige Asiaten in Schwimmwesten trappeln den Pfad zur Grotte hinunter. Wir steigen den Felsen hinab und erfrischen uns im dunkelblau schimmernden Grottenwasser.
Nun ist unsere Zeit auf der „Robusta“ vorbei, und unser Bootsleben erstmal auch. Traurig darüber, dass sich unsere Wege jetzt trennen, aber mit Funkeln in den Augen, was der neue Lebensabschnitt als Landratten so bringt, verlassen wir das Boot, umarmen uns fest und wünschen Anja und Thomas eine tolle weitere Zeit. Wir haben es sehr genossen, diese Zeit mit ihnen und ihrer schönen „Robusta“ verbringen zu können.
Euch gefallen unsere Geschichten? Ihr wollt radiopelicano unterstützen? Dann werft ein paar Groschen in unsere Bordkasse und helft uns unser Reise weiter zu führen. Smutje und Capitana sagen Dankeschön! Zur Spendenseite
This entry was posted in Allgemein