Überraschung auf dem Meer
„Komm schnell!“ ruft es aus dem Cockpit. Capitana bekommt einen Riesenschreck und springt hinauf. Was ist passiert? Allzu schnell wird klar, dass es keinen Grund zur Besorgnis, allerdings zur sehr großen Verwunderung gibt. „Siehst du, da!“ Smutje zeigt aufs Wasser, Capitana erkennt etwas braun-graues, ziemlich großes. „Das ist ein Wildschwein, es ist eben an INTI vorbeigeschwommen!“ Wir schauen uns fassungslos an. Ein Wildschwein etwa drei Meilen von der Küste entfernt? Was macht es hier? Wieso schwimmt es so weit draußen? Wir befinden uns auf dem Schwarzen Meer, irgendwo zwischen Varna und Sozopol. Schon in Sulina, dem letzten Ort an der Donau sind wir als erstes ans Meer geradelt und das hat sich richtig gut angefühlt. Die feuchte salzige Luft, das Rauschen der Wellen, der weiße Sand.

Letzter Halt Sulina
Sulina ist ein seltsames Nest. Es liegt irgendwo am Ende der Welt, am Ende der Donau und ist nur vom Wasser aus erreichbar. Keine Straße führt hierher, nur Taxiboote verbinden sowohl das eine mit dem anderen Ufer und Sulina mit Tulcea, der nächstgrößeren Stadt. Nachdem wir an einer Betonmole festgemacht haben, stolpern wir über die alten wackeligen Gehwegplatten die Promenade entlang.

Sulina wirkt schläfrig. Einst profitierte die Stadt von der Donaukommission, die hier ihren Hauptsitz hatte. Nun, da dieser nach Budapest verlegt wurde, liegen Hunde schläfrig am Straßenrand, Häuser zerbröseln langsam, Restaurants zieren ZU VERKAUFEN Schilder. Sozialistische Bauten neben alten Prunkhäusern.

Einzig auf der Donau pulsiert das Leben, Touristenboote bringen die letzten Touristen ins Donaudelta (die Saison ist gerade vorbei), große und kleine Fähren fahren regelmäßig den Fluss rauf und runter, Fischer gehen mit ihren kleinen Bötchen auf Fischjagd. Doch mit Beginn der Dämmerung scheint auch Sulina aus dem Schlaf zu erwachen: auf der Promenade tönt laute Musik aus den Boxen der Restaurants, Familien, Paare und Horden von Jugendlichen beleben mit einem Mal die Meile, Getuschel, Gekicher und lautes Lachen erfüllt das verschlafene Städtchen.

Auch wir wollen ausgehen und setzen uns in ein Restaurant mit Blick auf unsere INTI. Die Speisekarten liegen vor uns, doch irgendwas macht uns unruhig. Um INTI läuft hektisch ein Mann herum, schaut immer wieder hinein und wirkt sehr nervös. Smutje wird unruhig und geht nachschauen. Mit langem Gesicht kommt er zurück: „Wir müssen hier weg, gleich legt hier ein großes Schiff an!“

An dieser Betonmole, die gerade mal 20 Meter lang ist? Wie kann das denn gehen und wo sollen wir hin? Missmutig lösen wir die Leinen und fahren Sulina auf und ab. Nirgendwo scheint eine Lücke zu sein. Auch am anderen Ufer, welches von ruinösen Häusern gesäumt ist, gibt es keine Möglichkeit, anzulegen. Ein riesiger Ozeandampfer fährt nach Sulina ein. Mit lautem Geschepper lässt er seinen Anker mitten in der Donau fallen, um sich an unseren alten Liegeplatz zu hieven. Auch wir werden fündig und quetschen uns zwischen Ausflugs- und Fischerbooten ans Ufer. Dieser Dampfer ist nicht der Einzige, der in Sulina anlegt. Noch zwei weitere dröhnen den Fluss entlang, um in diesem Nest festzumachen.
Salzwasserjungfernfahrt
Wir wollen endlich aufs Meer. Dafür muss noch das Großsegel angebracht werden und dann kann es auch schon losgehen. In aller Frühe klingelt der Wecker, los geht’s. Die Sonne geht auf, wir erreichen die Donaumündung und gleiten ins Schwarze Meer.

Mit dem Segeln wird es nichts, es gibt keinen Wind. Dafür haben wir bald freundliche Begleiter, Delfine springen um uns herum, spielen mit der Bugwelle.

Auf einmal flattert ein merkwürdiger Vogel wild um INTI herum. Was ist denn das? Das ist doch kein Vogel, das scheint eine verirrte Fledermaus zu sein. Mitten auf dem Meer? Wir vermuten, dass sie im Baumkleid übernachtet hat. Nachdem sie ihre Ellipsen gezogen hat, flattert sie davon.
Eine heiße Fahrt beginnt. Da der Autopilot noch nicht funktioniert, müssen wir nach dem Kompass steuern, ohne Sprayhood oder Bimini stehen wir abwechselnd am Steuer, doch die gleißende Sonne macht uns nichts – wir haben es geschafft, wir haben INTI ins Meer gebracht! Gegen Abend taucht unser Ziel Konstanza vor uns auf. Die Wellen werden höher und mit dem letzten Sonnenstrahl schiebt sich INTI in die Hafeneinfahrt. Ruhe kehrt ein.
Erster Schwarzmeerhafen Konstanza
Vor uns liegt eine Art Marina, doch sie scheint voll zu sein. Was nun? Wir drehen Kreise im Hafenbecken, aufmerksam von den Blicken der Beamten der Hafenpolizei verfolgt, die auf ihrem Boot stehen. Wir rufen rüber und fragen, wo wir anlegen können. „No English.“ Aber sie zeigen auf ein anderes Behördenboot, dort sollen wir fragen. Ein Mann kommt heraus und zeigt uns einen freien Platz an der Mole, neben diversen Ausflugsbooten, die im Piratenlook hergerichtet sind. Alle Beamten sind nun zur Stelle und helfen uns beim Anlegen, unser Boot haben sie wohl schon bei unserer Ankunft im Computer abgefragt, denn als wir sie fragen, ob sie irgendwelche Papiere sehen wollen, kommt die Antwort: „Haben wir schon.“ Gut, dann schnell was zu Essen auf die Hand und ab in die Koje, schlafen, schlafen, schlafen.

Die nächsten Tage schlendern wir durch die Stadt und genießen einfach das Leben am Meer. Es fühlt sich so viel leichter an, auf den Horizont zu schauen, der nicht durch ein anderes Ufer versperrt ist. Wir schlendern an der Promenade entlang, die ein altes Spielcasino im Jugendstil ziert. Ein besonderes Fotomotiv, denn unzählige Brautpaare werden hier abgelichtet, Drohnen fliegen herum, Fotografen zuppeln mal hier mal da am Brautschleier herum und geben Anweisungen, die Bräutigame schauen etwas genervt drein.

Von dem Minarett einer alten Moschee schauen wir aufs weite Meer und beobachten, dass es launischer wird. Die Wellen zieren Schaumkronen, langsam wogen sie an die Küste heran, wo sie gewaltig brechen. Wir sind froh, im Hafen zu sein, denn vor den tückischen Wellen des Schwarzen Meeres sind wir vorher schon gewarnt worden. Trotzdem rücken täglich mit lauter „Piraten der Karibik“ Musik die großen Ausflugsboote aus, fahren ihre Gäste, die allesamt in Rettungswesten darin sitzen, einmal in die Welle vor der Hafenmole, um sie richtig durchzuschütteln und kommen mit lauter Musik wieder zurück. Ein rumänisches Schwarzmeervergnügen, vielleicht wie die Aufregung des Achterbahnfahrens auf einem deutschen Rummel. Nun soll sich die Welle beruhigen und wir planen, loszufahren. Noch in der Nacht tobt sie wie wild und schlägt an die Hafenmauer, ein Schwapp Wasser fliegt durch die Luke in die Koje. Aber wir wollen weiter. Tags drauf sind die Leinen gelöst und es geht hinaus. Doch das Meer kocht noch, wilde, steile Wellen werfen INTI auf und nieder. Zwar wurde alles seesicher verzurrt, doch es scheppert in allen Schapps, klirrt und rummst mit jeder Welle. Nach einer halben Stunde machen wir kehrt, so ist kein angenehmes segeln möglich.

Noch ein paar Tage genießen wir Konstanza, finden einen Waschsalon und können endlich auch mal unsere Wäscheberge abarbeiten, essen Muscheln und Meeresfrüchte an der Promenade, schlendern durch die hübsche Altstadt, kehren auf Kaffee und Kuchen ein und beobachten Touristen und Einheimische, die scharenweise durch diese Schwarzmeerstadt schlendern.
Missverständnis am Funkgerät
Unser nächstes Ziel heißt Baltschik, das liegt an der bulgarischen Küste. Als wir kurz vor dem Hafen sind, tönt aus dem Funkgerät eine Nachricht, die scheinbar an uns adressiert ist. Doch wir können sie nicht richtig verstehen und biegen in die Marina ein. Jemand winkt am Steg und INTI wird mit seiner Hilfe rückwärts eingeparkt. „Ihr müsst euch bei der Hafenpolizei melden“, sagt er. Wieso denn das? „Ja, die wollen euch sehen.“ Smutje nimmt die Papiere in die Hand, um zu Fuß zu ihnen zu laufen. Nun bekommt Dido, so heißt der Mann, einen Anruf. Er gibt Smutje das Telefon. Wütend schaut er drein. „Wir müssen wieder ablegen und uns bei der Hafenpolizei vorstellen!“ Wir waren so froh, angelegt zu haben und auch Dido hat jetzt Feierabend, wir sollen später alleine anlegen. Also fahren wir in den vorderen Teil des Hafenbeckens und machen an einer abgerockten Betonmauer fest, auf der die Beamten auf uns warten. Einer scheint arg geknickt zu sein. „Habt ihr mich nicht verstanden auf dem Funk?“ fragt er in bröckeligem Englisch. „Nein, die Verbindung war nicht so gut…“ „Ahhh, dann war es wohl ein akustisches Problem?“ Ja, ja, wir wollen ihm nicht sagen, dass wir sein Englisch einfach nicht verstanden haben. Er kommt aufs Boot und wirft einen Blick hinein und nimmt unsere Papiere mit. Derweil schleicht ein anderer Beamte mit strengem Blick auf unser Boot auf der Mole herum. Good Cop, bad Cop. Wir bleiben ruhig und schnell ist alles geklärt. Seit diesem Jahr ist Bulgarien im Schengen-Raum und so ganz klar scheinen die Regeln noch nicht angekommen zu sein. Egal, schnell zurück an den Liegeplatz, bevor die Sonne untergeht.
Maria hatte Geschmack
In Baltschik wettern wir ab, schlendern die Promenade entlang zu einem kleinen Schloss mit einem ihn umgebenden botanischen Garten.

Die rumänische Königin Maria ließ es sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts nach ihren Vorstellungen bauen. Das sehr kleine Schloss ist spartanisch ohne Prunk und Kitsch eingerichtet, weiße Wände, dunkle Holzmöbel, an den Wänden Fotos der Königin im 20er-Jahre Look mit Turban und Zigarettenspitze. Für ihren muslimischen Liebhaber ließ sie sogar ein kleines Minarett anbauen. Ein kleiner Ausflug in längst vergangene Zeiten.

Endspurt zum Bosporus
Der nächste Stopp ist Varna. Auch hier ein kleiner geschichtlicher Ausflug: Graf Dracula reiste hierher in Särgen mit transsilvanischer Erde an, um sich auf ein Schiff nach England zu schmuggeln. Alte Legenden in einer Hafenstadt, die heute von Industrie geprägt ist. Wir verschnaufen und fahren am nächsten Tag weiter.

So weit, wie wir kommen. Das könnte Nessebar in der Bourgasbucht sein oder, etwas weiter in der Bucht Sozopol. Beide Orte sollen sehr schön sein, wir hatten viele Tipps bekommen. Endlich können wir mal eine längere Strecke segeln, Wind und Welle passen, wir gleiten unserem Ziel entgegen und das heißt Sozopol. Eine große Marina mit unzähligen Segelbooten erwartet uns. Es findet gerade eine Regatta statt und zudem ist in Bulgarien ein Feiertag.

INTI findet noch ein freies Plätzchen. Sozopol ist ein lässiges Örtchen, kleine Kopfsteinpflastergassen mit vielen streunenden Katzen, Restaurants und den für hier typischen alten Häusern. Die erste Etage ist aus Holz gebaut und „hängt“ über dem Erdgeschoss. Im unteren Teil wurden früher die Fischernetze gelagert, oben wohnten die Familien. Heute leben viele Künstler hier, unzählige Ateliers stellen ihre Bilder aus.

Wir entspannen in der Atmosphäre dieses Ortes. Doch irgendwie macht sich bei uns auch ein Kribbeln bemerkbar, es zieht uns nach Griechenland, doch bis dahin sind noch einige Hürden im Weg. Zum ersten spielt das Wetter nicht so, wie wir wollen, zum anderen müssen wir dafür noch durch den Bosporus, an Istanbul vorbei, durch die Dardanellen. Dann wären wir endlich da! Zwei Tage lang wettern wir die hohen und kurzen Schwarzmeerwellen ab, doch dann geht es los.

Ein Meilenstein liegt noch vor uns: bevor wir durch die Türkei fahren, klarieren wir in der EU aus. Dafür müssen wir in den letzten bulgarischen Hafen vor der Grenze, nach Tsarevo. Der liegt 20 Seemeilen von Sozopol entfernt. Was vom Ufer aus nach kleiner Welle aussah, entpuppt sich als Trugschluss. Zwar ist der Abstand zwischen den heranrollenden Wellen groß, doch auch die sind groß. Statt der prognostizierten Höhe von einem Meter sind diese mindestens dreimal so groß. Egal, wir reiten dadurch, stoisch und mit unserem Ziel vor Augen.
Auf einmal stört ein Funkspruch unseren Ritt. „Sailboat….“ Weit und breit ist kein anderes zu sehen, also runter an die Funke. Man hat uns von einem Beobachtungsposten aus gesehen und möchte wissen, wer wir sind. Nachdem das geklärt ist, reiten wir eine Weile später mit mächtigen Wellen in den Hafen von Tsarevo ein. Das Festmachen ist eine schwindelige Angelegenheit, die Welle von draußen bringt Unruhe in das Hafenbecken, es muss rückwärts angelegt werden, an der Spundwand geht ordentlich Schwell. Doch der Hafenmeister steht bereits parat, ebenso zwei Beamte, die sogleich zur Ausklarierung übergehen. Nach dem Austausch einiger Rezepte und dem üblichen Lob der bulgarischen Tomate (Bulgaren sind unglaublich stolz auf ihre „besten Tomaten der Welt“) reiten wir mit INTI wieder raus aufs Meer. Das beruhigt sich glücklicherweise nach ein paar Stunden und wir können segeln.

Doch der Kontrollblick in den Motorraum jagt Smutje einen riesigen Schreck ein: schon wieder ist das Kühlwasser herumgespritzt, der Kühlwassertank leer. Der Tank wird aufgefüllt. Der Wind schläft ein. INTI befindet sich inmitten von türkischen Trawlern. Langsam schlängelt sie sich zwischen ihnen hindurch. „Sollen wir den Motor doch mal starten?“ Ratlos schauen wir uns an. Na gut, mit wachem Blick auf den Motor wollen wir es riskieren. Kein weiteres Kühlwasser spritzt heraus. In der Hoffnung, dass es so bleibt, bewundern wir den Sonnenuntergang und fahren in die Nacht in Richtung Bosporus. Bald liegt ein weiterer Meilenstein hinter uns, nach der Donau haben wir dann auch die europäische Schwarzmeerküste hinter uns gelassen. Schon von Weitem können wir die riesige, rot beleuchtete Brücke über den Bosporus ausmachen. Der Himmel ist voller Flugzeuge nach Istanbul und das Meer voller Frachter. Um 3:00 Uhr morgens fällt der Anker in einem Fischerhafen am Eingang des Bosporus. Wir schauen uns an:“ Was haben wir da wieder gemacht?!“ und fallen in einen tiefen Schlaf.

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