Niemals trennt der Himmel. Dieser Himmel, jetzt, hier, Luft die ich atme, überschüttet mich mit Planeten. Wohin sich verirren, wohin? Mein Zentrum ist dieser Punkt, irgendeiner. So ganz und vollständig erwartet mich immer die Welt! Nicolás Guillén
Juhuuu – es gibt uns noch, wir haben eine Pause eingelegt. Es ist Sommer in den Tropen, Regenzeit, Zeit der Zyklone, Zeit Pause zu machen, sich einen sicheren Hafen zu suchen und INTI für die nächsten grossen Schläge Richtung Westen vorzubereiten. Gut geschützt parken wir unser Zuhause in der tiefen Bucht von Taravao. Eingekreist von den Bergen Gross- und Klein-Tahitis liegt eine kleine Marina, in die nur sehr, sehr selten mal ein Sturm herein kommt. Wir sind überrascht wie viele deutsche Boote wir hier finden, der Ort scheint sich herumgesprochen zu haben. Auch unsere Freunde Stefan mit Besuch von seiner Schwester Anja von der „Abraxas“ und Rik von der„Masquenada“ liegen hier. Und so wird gehämmert, gepinselt, sich ausgetauscht, gefachsimpelt und das eine oder andere Bier geleert. Auf INTI wird natürlich mal wieder Rost gekloppt, Smutje verschwindet im Motorraum und repariert Auspuff und Elektrik, mit dem Schweissgerät der “Lojan“, einem deutschen Paar mit einem schönen alten Stahlpott, die schon über 20 Jahre unterwegs sind, wird ein neuer Anschluss für den Anlasser Mc-Gyvert, Capitana pinselt Holzteile und bringt INTI und das Bananaboot auf Hochglanz, der eine oder andere Job auf Nachbarbooten wird erledigt und, und, und… Nebenbei studieren wir Karten und Handbücher und träumen schon mal vom wilden Westen des Pazifiks.
Aber nicht nur malocht haben wir die letzten Monate. Wir nutzen die günstigen Flugverbindungen und fliegen für zwei Monate zurück auf unsere Lieblingsinsel Rapa Nui, die Osterinsel. In fünf Stunden legen wir die Strecke zurück für die wir mit dem Boot drei Monate gebraucht haben. In Rapa Nui ist das Klima im Vergleich zum schwülwarmen Tahiti extrem angenehm, liegt es doch auf dem gleichen Breitengrad wie die Kanaren. Gespiegelt auf die Südhalbkugel natürlich. Freudig werden wir begrüsst von Schwester Elisa, Schwager Claudio und Nichte Nomi. Wir schlagen ein Zelt im Garten von Smutjes Schwester auf, sie wohnt nicht nur auf einer der abgelegensten Inseln der Welt, sondern dort auch noch an einem der abgelegensten Orte dieser Insel. Auf einem Berg, weit weg vom Hauptort, mit Blick auf den unendlich weiten Pazifik und die wilde Natur der Insel mit ihren Hügeln und erloschenen Vulkanen. Ein unbeschreiblich schöner Ort! Wir schlafen wie die Babies unter dem unvergleichlichen Sternenhimmel dieser magischen Insel. Um uns herum zirpen die Grillen, grasen die wilden Pferde und Kühe, kein Verkehrslärm stört diese natürliche Kulisse.
Es gilt viele alte Bekannte wieder zu treffen und so werden wir ein paar Tage nach unserer Ankunft auf eine Totenfeier eingeladen. Das sogenannte „Velorio“ läuft komplett anders ab als in Deutschland, hier wird einen Monat lang gefeiert! Während dieser Zeit dürfen sich die nächsten Angehörigen um nichts kümmern, täglich schaffen Verwandte und Freunde Essen und Getränke ran und es wird gegrillt, musiziert und gebechert was das Zeug hält. Wir stossen bei den Abschlussfeierlichkeiten dazu. In einem gewaltigen traditionell polynesischen Erdofen (Umo) brutzeln ganze Kühe, Süsskartoffeln und Poi, eine Beilage aus einem Kürbis-Bananen Teig. Salate und Wassermelonen stehen bereit und das Bier fliesst in Strömen. Die Stimmung der ca. 150 Teilnehmer ist ausgelassen, von Trauer keine Spur, ein interessanter Umgang mit dem Tod. Wir treffen etliche Bekannte aus dem letzten Jahr und die Wiedersehensfreude ist gross.
Aber wir legen die Hände nicht in den Schoss, es bietet sich die Möglichkeit, die leckeren Kühe des Schwagers gegrillt an den Mann und die Frau zu bringen. Aber wie soll das genau laufen? Auf Rapa Nui natürlich kein Problem! Es gibt ein freies Grundstück von einem Freund und Verwandten, das er uns zur Verfügung stellt. Yipppiiiii! In tagelanger Arbeit werden Bäume gesägt, Spülbecken organisiert, Strom verlegt, ein Verwandter kann Sand als Bodenbelag auftreiben, es wird gehämmert, gesägt und Mc Guyvert, ein anderer Verwandter hat Palmenblätter, mit denen wir unsere grün angepinselte Bude dekorieren, auf einmal sind zwanzig riesige Wassermelonen da, jeder ist dabei, etwas beizusteuern. Smutje düst mit Claudio über die Gärten und Hinterhöfe und lernt die abgelegensten Ecken der Insel kennen, um Material zu besorgen, Capitana ist derweil mit Smutjes Schwester und Nichte dabei, den Kleinkram für die Bude zu organisieren, schliesslich soll es nicht nur Fleisch, sondern auch frische Säfte aus Obst von der Insel geben. Unzählige Maracujas werden ausgeschabt und eingefroren, Guyabas werden beim Verwandten gesammelt und ebenfalls in Kleinarbeit entkernt und eingefroren. Mittlerweile ist auch Smutjes Vater Ulli aus Deutschland eingetroffen und hat sein Zelt neben uns aufgeschlagen. Natürlich hilft auch er kräftig mit und gibt der Bude den letzten Schliff. Die Bude steht, das Kalb ist geschlachtet, die Beine hängen von der Decke, die Leber wandert noch warm in die Pfanne, um genussvoll verzehrt zu werden. Allerdings schleichen sich nachts Gewissensbisse ein: Mama Kuh schreit nach ihrem verlorenen Kind, und wir haben gerade mit grossem Appetit seine Leber verschlungen. Naja so ist das Landleben, am nächsten Tag hat Mama Kuh das Leid vergessen und wir stürzen uns in die Arbeit. Das Geschäft läuft langsam an, einige Touristen haben Gefallen an den leckeren Spiessen gefunden und kommen mehrere Tage hintereinander, um sich für die Inselerkundungen zu stärken, andere wollen einfach nur ein bisschen reden, die Rapa-Nui-Familie ist Tag für Tag da, die Gitarre wird ausgepackt, in der sanften Dämmerung stösst auch der Pferdeflüsterer „El Gaucho“ aus Argentinien dazu, der jedes Jahr auf die Insel kommt um wilde Pferde zu zähmen. Er bindet sein Pferd an unserem geliebten alten Auto des Schwagers fest, das mittlerweile nicht einmal mehr Scheiben hat. Ein schräges Bild, die Touristen fotografieren nunmehr nicht nur das Essen auf dem Grill sondern auch dieses herrliche Bild im Abendlicht. Wir lernen viele interessante Leute von der Insel und aus aller Welt kennen. Der Stand ist ein Treffpunkt und es hat sich herumgesprochen, dass die „Anticuchos Aleman“, die deutschen Spiesse, einen ganz besonderen Geschmack haben.
In der Turnhalle gegenüber werden öffentlich die Choreographien für die Tanzwettbewerbe des Tapatifestivals geprobt, auch wir lassen uns ein ums andere Mal von den schwebenden Südseetänzen entführen, um danach mit einem glücklichen Gefühl im Bauch wieder an den Grill oder die Saftmaschine zu gehen. Nachts fallen wir geräuchert in unser Zelt, schlafen tief und warten auf die Tapati, welche das Geschäft nochmal voranbringen soll. Auch sind wir, aufgrund der abgeschiedenen Lage im Campo auf dem Berg darauf angewiesen, von Smutjes Schwester oder Schwager ins Dorf gefahren zu werden. Doch schon bald ist eine herrliche Lösung gefunden. Nach einem langen Tag am Grill ohne Auto, was sie zurückbringen könnte, treffen Schwager und Smutje einen Verwandten, der, ohne die Wimper zu zucken, ihnen seine Crossmaschine überlässt, er hat doch zwei. Und am nächsten Tag steht der Deal: das Motorrad gegen eine Kuh für einen Monat für Smutje und Capitana! Wir schweben im siebten Himmel, düsen über die Insel, besteigen Vulkane, lassen uns verzaubern von dem magischen Panorama dieser Insel und sind einfach glücklich! Angehalten werden wir nie, fahren wir doch ohne Helm und Motorradführerschein: kein Problem: der Besitzer ist ein hohes Tier bei der lokalen Polizei und jeder kennt seine Maschine!
Aber war die Kuh ein doch zu guter Preis für die Maschine? Wir wissen es nicht, werden aber bald darauf samt ganzer Familie (Smutjes Mutter ist mittlerweile auch eingetroffen) zu einem weiteren Essen im Umo eingeladen. Um 12 Uhr, zum vereinbarten Termin stehen wir auf der Matte, doch-Pustekuchen- hier gart noch keine Kuh im Erdofen. Doch egal, eine gute Gelegenheit einmal zu lernen, wie das Kochen im Erdofen funktioniert. Kaltes Bier steht schon bereit und wir packen freudig mit an! Die Prozedur nimmt den ganzen Tag in Anspruch: als erstes wird ein Loch ausgehoben, in welchem ein grosses Holzfeuer entfacht wird. Darauf werden Vulkansteine erhitzt. Sind sie heiss genug, wird ein Teil der Steine auf den Boden des Lochs gelegt und mit Bananenblättern überdeckt. Das Fleisch und die Bananen- und Kürbiskuchen kommen auf die Blätter. Anschliessend wird das Grillgut (in diesem Fall war es ein Schwein) mit Bananenblättern zugedeckt und hierauf werden die restlichen heissen Steine gelegt. Eine grosse Folie (früher waren es Matten aus einer speziellen plattgewalzten Baumrinde) deckt das Ganze ab und darauf kommt eine dicke Schicht Erde. Wir haben Hunger!!!!! Doch gut Ding will Weile haben, das Fleisch muss mindestens drei Stunden brutzeln und das Erdloch wird erst nach der Dämmerung geöffnet, damit die Fliegen nicht sofort über das Fleisch herfallen. Bevor das erste Stück Fleisch verzehrt wird, stehen wir alle um den Erdofen. Es wird gemeinsam eine Art Dank oder Gebet gesprochen und verschiedene Ansprachen werden gehalten. Andächtig stehen wir in der Dunkelheit beisammen, der Geruch des Fleisches kitzelt unsere Nasen und unsere Gaumen und schon gibt es die ersten Stücke zum Probieren. Köstlich!!! Ein wahres Geschenk des Himmels, butterweiches Fleisch mit dem Geschmack der Bananenblätter, es werden Salate gereicht, die süssen Kleinigkeiten aus Banane und Kürbis schmecken ebenfalls herrlich! Um Mitternacht rollen wir nachhause, voll mit der wunderschönen Erinnerung an einen leckeren Schmaus, mit der Erkenntnis, dass Gut Ding Weile Hat, und einem angenehmen Nachgeschmack in Geist und Seele.
Und da ist sie auch schon, die Tapati, zwar wird das Geschäft nicht entscheidend besser, doch können wir nach der Grillerei die verschiedenen Wettbewerbe auf der Bühne anschauen: da ringen ältere Herren mit dem Akkordeon um Punkte, sanft werden Südseeträume in Klang verwandelt, tanzen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit anmutigem Hüftschwung, die Männer schmeissen sich kämpferisch zwischen die wogenden Damen, laut wird “hua-hua” geschrien, zu wunderbarem Gesang geben alle das Beste. Beseelt von dieser Freude fahren wir nachts durch die verlassenen Strassen zurück zu unserem Zelt auf dem Berg, die Sterne glitzern über uns, keine Lichtverschmutzung trübt das Funkeln des riesigen Firmaments über uns, ab und zu kreuzt eine Kuh oder ein Pferd unseren Weg, doch gemächlich trollen sie sich auf ihre riesigen Wiesen zurück. Trotz nachtschlafener Zeit werden wir jedes Mal, wenn wir das Gatter öffnen von unseren liebgewonnenen Freunden begrüsst, allen voran der kleine Hund, den wir “Tollpatschi” genannt haben. Am Wegesrand ausgesetzt, päppelt Smutjes Schwester ihn und seine Schwester auf, doch ist das kleine Wesen ungestüm und ihm passiert ständig das ein oder andere Unglück. Mit der Zeit rappelt er sich, wird frecher, schleppt die kleinen Katzen durch die Gegend, fängt krächzig an zu bellen und die anfangs schlabberigen Ohren stellen sich auf. Zunächst noch liebevoll von uns verwöhnt, müssen wir jetzt manchmal richtig schimpfen, wenn er das Spiel mit den Katzen zu weit treibt, sie am Schlaffitchen packt, schüttelt und meterweit durch den Garten schleift. Aber die runden Augen schauen so freundlich daher, dass wir ihn am liebsten mitnehmen würden. Aber wir wollen keinen Hund an Bord und er kennt das Landleben nur zu gut, hat die ganze Weite und viele nette Kumpels zum Spielen. Morgens werden wir von unserer Nichte begrüsst, die es kaum erwarten kann, dass wir endlich aus unserem Zelt kommen. In ihrem neuen Prinzessinnenkostüm rennt sie unermüdlich über die Wiesen, jagt den Hunden, Katzen und wilden Pferden nach und zeigt uns ihre Insel. Ein verrücktes Bild, das uns immer wieder aufs neue das Herz öffnet. Was für eine tolle Umgebung um aufzuwachsen! Abends sitzen wir dann zusammen mit Smutjes Eltern, schmausen und freuen uns über das Familientreffen an diesem abgelegenen Ort.
Doch irgendwann heisst es tränenreich Abschied nehmen und es geht zurück zu unserem schwimmenden Zuhause nach Tahiti. Einige Schrauben gibt es noch zu drehen, ein bisschen Rost zu klopfen und ein paar Segelnähte zu nähen, doch dann geht es weiter über den Pazifik. Suwarrow, Tonga, Fidschi, Vanuatu – wilder Westen wir kommen!
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Liebe Grüße aus Bremen! Das ist ja alles ganz unglaublich und traumhaft und wie aus einer anderen Welt. Aber dann sind da die Fotos, auf denen wir ganz real einige Menschen erkennen, die uns schon über den Weg gelaufen sind…
Weiter mit viel Glück und danke für Text und Bilder!
Rainer&Ingrid
Ihr Lieben “Seeungeheuer”… ungeheuerlich ist das Leben welches auf euch niederkommt. Da bleiben die Gedanken im fernen runden Bremen in der weiten Kugel hängen und wir hoffen sie geben euch den Mut und den Spass… natürlich sind wir neidisch, natürlich möchten wir auch einige Orte kennenlernen und euer Leben führen, aber, langes aaaber, es ist nur Wunsch nicht Realität… unsere Lebenswirklichkeiten sind irgendwie auch anders…
Wir wünschen euch noch viele schöne Reise- und Erlebenstage. Wir sind immer mal wieder in Gedanken bei euch…
Alles Gute für euch…