Raroia, ein Atoll der Tuamotus und, falls irgendwie bekannt nur durch die Anlandung der “Kontiki” im Jahre 1947. Wieder einmal liegt so ein irrer Korallenring mitten in den Weiten des Pazifiks, hebt sich, gesäumt von Palmen, aus tausenden von Metern Wassertiefe mal gerade so an die Oberfläche. Typisch für diese Inselgruppe, die auch die “Gefährlichen Inseln” genannt werden. Viele Schiffe sind hier gestrandet, denn man sieht sie erst, wenn man kurz davor oder eben auf dem Riff ist. Gut, dass die Karten jetzt so einigermassen stimmen und wir ein GPS haben, so können wir diese schönen Inseln, die immer noch abseits der gängigen Segelroute liegen, einigermassen problemlos erkunden.
Auf den ersten Blick besticht dieses Atoll durch so glasklares, kristallines türkises Wasser, wunderschöner und atemberaubender als jedes 80er-Jahre Tapetenmotiv. Zunächst einmal kuriert Smutje seine Grippe aus und der Anker fällt vor dem Dorf, welches auf den ersten Blick nicht unbedingt durch seine Schönheit brilliert. Doch nach zwei Tagen wagen wir uns an Land, wir wollen uns die Beine vertreten und uns mal umschauen, ausserdem wird hier das köstliche Hinano-Bier verkauft und wir wollen mal sehen, was der kleine Laden noch im Angebot hat. Dieses Atoll unterscheidet sich schon allein dadurch von Amanu, als dass es einen Flughafen mit einer riesigen Landebahn hat, hier landet allerdings nur einmal die Woche ein kleines Flugzeug. Ansonsten Palmenwälder mit unglaublich schlanken, hohen Kokospalmen, eine Farm für schwarze Perlen, eine kleine Kirche und eine alte Andachtsstätte im Freien, eine Heiligenstatue in altem Stein wacht über die Gemeinde. Beim kleinen Laden angekommen schaffen wir es gerade mal, ein paar Kartoffeln und Leberwurst aus der Dose zu ergattern, da geht es auch schon los. Der Laden ist der Treff der Einheimischen und auch der Treff der einheimischen Musiker. Auf einer kleinen Bank vor dem Laden sitzt André, der Meister des “Tamtam”, ein sehr beleibter, lustiger Mann, mit stets freundlichem Grinsen unter seinem schmalen Schnurrbart. Schnell sind die unterschiedlichen Schlag- und Rhythmusinstrumente herbeigezaubert und es beginnt eine unvergessliche Session, die bis in den Abend hineingeht und sich zwischenzeitlich an den Strand verlagert. Mehr und mehr Musiker versammeln sich, zaubern die unglaublichsten Beats aus ihren Schlaginstrumenten, Schlitztrommeln die teils aus ausgehöhlten Baumstämmen hergestellt sind, großen Trommeln, kleinen Trommeln. Smutje, als alter Drummer ist in seinem Element, ein breites Lächeln zieht sich über sein Gesicht während er mal diese oder jene Trommel versucht, stets begleitet von den aufmunternden Blicken des TamTam-Meisters und den Anfeuerungsrufen des Ladenbesitzers. Rhythmen wechseln sich ab, das Trommeln verebbt und schwillt wieder an, alles Fieber verlagert sich auf das Bearbeiten der Instrumente. Auf einmal sind da auch wieder unsere Freunde von der “Masquenada” und der “Pirlouit”, die schon ein paar Tage vorher angekommen sind, allerdings erst heute auf diese Seite des Atolls gekommen sind. Völlig beseelt taumeln wir zurück auf unsere Boote und sinken glücklich in die Koje. Doch die Einheimischen haben noch nicht genug, schon zwei Tage später werden wir eingeladen zu einer weiteren Session, denn Meister André fliegt am nächsten Tag für zwei Wochen nach Tahiti und will uns unbedingt vorher nochmal sehen. Wieder beginnen die Gesichter zu glühen, die Drumsticks fliegen auf und nieder, das Lachen wird breiter, die Beine zucken. Am Ende wird uns noch überschwänglich gedankt dass wir mitgemacht haben, kleine Geschenke wandern in unsere Hände, Sonnenbrillen werden ausgetauscht, eine wunderschöne schwarze Perle ziert jetzt Capitanas Décolleté. und da ist sie wieder, diese unglaubliche polynesische Gastfreundschaft. Sie danken uns, dass wir sie besucht und an ihrem Leben teilgenommen haben und nicht umgekehrt, einfach unvergleichlich!
Tags darauf kommen die Fischer und wollen mit den Jungs in den Pass, um dort Fische zu fangen. Ausgerüstet mit Harpunen und Speeren geht es los. Aufregend, denn im Pass wimmelt es von Fisch aber auch von Haien! Kaum ist ein Fisch harpuniert sind sie auch schon da, angelockt vom Geruch des Blutes versuchen sie, den Fisch vom Speer zu reissen. Zwei Fische verliert Smutje auf diese Weise, der fast neuzig Grad verbogene Speer der Harpune, den er selbst nur mit Hilfe wieder gerade bekommt, zeugt von ihrer Kraft. Da hilft nur, den Fisch so schnell wie möglich an den eigenen Körper zu ziehen, denn die Menschen sind den Riffhaien zu gross und sie halten Abstand. Das ist allerdings nicht gerade ein natürlicher Reflex, wenn die Haie auf einen zuschiessen. Manchmal muss man einem besonders mutigen Exemplar auch noch einen kleinen Tritt gegen den Kopf geben, bis er endlich abhaut. Doch wir sind zu acht, und die Einheimischen wissen natürlich Bescheid. Es wird im Team gearbeitet, die Harpunenspeere sausen nur so durch den Pass, schnell hoch, den Fisch ins kleine Beiboot schmeissen und wieder runter. Am Ende kehren wir mit bestimmt 20 Kilo Fisch heim ins Dorf, ein paar für uns zum Abendessen und der Rest geht mit dem nächsten Flieger nach Tahiti auf den Markt. Ein paar Tage später geht es mit einem anderen einheimischen Fischerfreund mit Speer und Taschenlampe im Dunkeln aufs Aussenriff. Hier soll es viel Fisch und machmal sogar Hummer geben. Konnten wir beim Harpunieren noch einigermassen mithalten haben wir bei dieser Technik allerdings keine Chance. Während Stefan und Smutje eher über das nächtliche Riff stolpern und versuchen, sich nicht die Gräten zu brechen, springt unser Freund in den Plastiklatschen von Koralle zu Koralle und erlegt einen Fisch nach dem anderen. Und zwar nicht mit so einem tollen Speer wie Smutje ihn in der Hand hält, sondern indem er ihnen einfach ein etwas grösseres Messer auf den Kopf haut. Da können wir nur staunen!
Nun wollen wir aber doch zum legendären Riff segeln, an welchem die Kontiki damals angelandet ist. Wir segeln durch das Atoll, von einem Korallenkopf zum nächsten, abfallen, anluven- ein irrer Spass. Auf der kleinen Palmeninsel gegenüber entdecken wir eine Tafel, auf welcher an die “Kontiki” erinnert wird. Wir halten inne, schauen uns das Riff an, welches unter den jetzigen Bedingungen kein bisschen gefährlich wirkt. Was muss es für ein Gefühl gewesen sein, hier nach über hundert Tagen treibend auf dem Pazifik angekommen zu sein.
Ein paar Meter weiter ankern wir wunderbar auf Sand im glasklaren Wasser, gehen schnorcheln, Smutje erledigt nebenbei noch einen Oktopus und verarbeitet ihn zu einem griechischen Stifado und es wird ein Riesenschmaus. So rinnen die Tage dahin im klaren Blau, der schwere Blütenduft liegt wieder in der Luft, betört die Sinne und aussen krachen die Wellen ans Riff. Wenn da bloß nicht diese vielen Fliegen wären, ein Phänomen, wo kommen die bloss her, wir haben auflandigen Wind, die warten doch nur, um uns zu piesacken, sich auf einem niederzulassen, mit lautem Gebrumme um unsere Köpfe zu kreisen, also nee, wir müssen hier wieder weg. Und so geht es wieder ab ins Dorf, doch wir sind vorgewarnt-das große Versorgungsschiff kommt bald und wir liegen in seiner Drehrichtung. Wir bleiben liegen und denken uns: “Na, so schlimm kann nicht werden, sind wir doch zwei kleine Boote und Manövrieren kann der doch auch so.” Es kommt und ist deutlich grösser als erwartet! Mit lautem Tröten verscheucht uns der Cargo aus der Bucht, schnell reissen wir die Anker auf, um sie ein paar Meter weiter wieder fallen zu lassen. Schnell an Land um etwas Frischzeug zu ergattern! Der versprochene Kohl ist nicht mitgekommen, naja, egal, ein paar Möhrchen tun es auch.
Der nächste Tag ist ein Sonntag, und Smutje und Capitana beschliessen, zur Kirche zu gehen, haben sie doch viel über die schönen Gesänge bei polynesischen, bzw. katholisch-polynesischen Gottesdiensten gehört. Und dieser Gottesdienst übertrifft wirklich alles. Der Priester begrüsst uns in seinem weissen Gewand, die Messdiener und Messdienerinnen ebenfalls in weissen Gewändern, unten lugen die Flip-Flops heraus. Wir nehmen in den hinteren Rängen Platz, was zur Folge hat, dass die ersten zwei Reihen mit den Kindern nicht mehr auf den Altar sondern nach hinten auf uns gucken und kichern und tuscheln anstatt andächtig die Hände zu falten. Doch der Pastor nimmts gelassen und schon geht es los: ein Keyboard mit Rhythmusbegleitung wird eingeschaltet und scheppert aus den grossen Lautsprechern, unser Freund, der Ladenbesitzer, bearbeitet beseelt seine Trommel und seine Nachbarin die Ukulele. Ein irrer Beat dröhnt durch die kleine Dorfkirche und auf einmal beginnt alles zu wogen. Die Frauen singen laut in ihrer so wohlklingenden Sprache und ihre perfekten mehrstimmigen Harmonien sind so schön, dass es uns eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagt und die Tränen der Rührung in die Augen schiessen. Am Ende fassen sich alle, durch die Bänke hinweg, an den Händen es wird ein neues Lied angestimmt und wieder schunkeln wir in einer wogenden Welle durch die Kirche. Danach werden Hände geschüttelt, Schultern geklopft und Küsschen verschenkt, wir mittendrin, ganz ergriffen von soviel Lebensfreude. Den restlichen Sonntag wird eine Marienstatue, begleitet von Gesängen und Ukulele, durchs Dorf getragen. Sie bleibt jeweils eine Stunde in einem Haus, welches gerade “mana” (Kraft und spirituelle Energie) braucht. Wir heben derweil den Anker und verbringen zwei ruhige Tage fischend und schnorchelnd vor dem Pass, bevor wir uns zu einer Nachtfahrt auf das Atoll Makemo aufmachen. Raroia, wieder eine Perle im Pazifik mit unglaublich tollen Menschen. Das werden wir so schnell nicht wieder vergessen.
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04.07.2017 – 18:43 utc
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