Ich hab mir immer wieder vorgestellt, wir wären anderswo auf dieser Welt. In einem Garten fern von Raum und Zeit ernten wir Früchte der Gelassenheit. Songtext “Die Frottierer”
Wir sind im Westpazifik angekommen! Nach 1400 Seemeilen rutschen wir über die Datumsgrenze, verlieren mal eben so 23 Lebensstunden und schlagen tags darauf in Niuatoputapu auf. Diese Insel liegt etwas abseits der gängigen Routen am nördlichsten Rand des Königreich Tonga und so wundert es uns nicht, dass wir die einzigen Yachten sind, als wir im Morgenlicht in die Lagune einfahren. Im Schlepp haben wir die „Abraxas“, nach sieben Tagen auf See treffen wir sie vor den Inseln wieder, ihr Motor hat sich drei Meilen vor der Insel mit einem Husten verabschiedet und so hängen wir sie kurzentschlossen hinten an die INTI.
Unser erster Eindruck der „freundlichen Inseln“, wie Tonga immernoch in den Seekarten genannt wird, ist nicht so freundlich. Alles sieht noch etwas zerrupft von dem Tsunami aus, der die Insel vor ein paar Jahren heimsuchte und grau ziehen die Regenschauer über uns her, kein Mensch antwortet auf unsere Funksprüche und nachdem wir uns an der verfallenen Betonmole festgemacht haben springt uns zunächst ein Müllberg ins Auge. Der erste Mensch mit dem wir in Kontakt treten versichert uns, dass es hier unmöglich sei, das von uns seit Wochen heiss ersehnte Anlegebier zu bekommen und auch sonst sei die Versorgungslage eher spärlich. Ersteinmal ein Dämpfer nach einer echt anstrengenden und ungemütlichen Woche auf See. Doch die Stimmung wandelt sich schlagartig als wir einen Fuss an Land setzen um die Behörden für die Einklarierung zu finden!
Wir sind in einer komplett anderen Welt Polynesiens angekommen und die Menschen sind tatsächlich unglaublich freundlich. Als erstes fallen uns die unzähligen wild herumfetzenden Schweine auf. Am Strand, im Garten, auf der Strasse, grosse, kleine, rosa, schwarz, gescheckt, lange Borsten, kurze Borsten, Stupsnasen, Langnasen hier scheint es wirklich jede Rasse zu geben, ein Spass zu beobachten! Auch von den Menschen werden wir winkend und rufend begrüsst, überall werden bastähnliche Materialien verarbeitet die dann als Landestracht einfach über die „normalen“ Kleider gewickelt werden und weil das vermutlich ziemlich heiss ist, wird gleich ein Fächer mitgebastelt. Die Männer tragen Röcke und in den Mündern der Frauen blitzen etliche Goldzähne auf wenn sie uns in ein Gespräch verwickeln oder einfach nur anlächeln. So auch „O“, die Chefin der Zoll- und Einwanderungsbehörde, die wir nach einigen Umwegen endlich gefunden haben. Sie schickt uns erst einmal zur Post um Geld für die Gebühren zu tauschen, und als wir dann nach unserer Rückkehr etwas schüchtern fragen, ob wir nicht eben noch eine Simkarte fürs lang ersehnte Internet kaufen könnten bevor wir für das Einreiseprozedere zurück zum Boot müssen, blitzen ihre Goldzähne sofort zu einem „no problem“ auf. Kurzerhand werden wir samt Bastmatte um ihrer Hüfte und Aktenbergen unter dem Arm in ihr Auto verfrachtet, die Gesundheits- und Quarantänebehörden bekommen Bescheid, dass wir später kommen und ab gehts zur Telefongesellschaft. Eine geschlagene Stunde dauert es bis die Simkarten gekauft und eingerichtet sind und wir schielen immer mal wieder zu „O“ rüber, ob sie eventuell ungeduldig wird, doch als wir sie scherzend und Kinderbilder austauschend mit der Dame der Telefongesellschaft sehen wird uns schnell klar, in Niuatoputapu ticken die Uhren gaaaanz gemütlich. Zurück beim Boot kommen dann auch schon die Herren von Quarantäne und Gesundheit. „Dr. J“, der Gesundheitschef, ist ein tätowierter, sonnenbebrillter Riese mit langem Bart, der eher wie ein Hip-Hop Star aussieht und der ältere Herr von der Quarantänebehörde antwortet auf unsere Frage nach Getränken ohne mit der Wimper zu zucken, klipp und klar: Cola-Rum! Ok, denken wir uns, laden die ganze Bande an Bord und kramen eine Buddel Rum aus der Bilge. Der Papierkram erledigt sich eher nebenbei und synchron zum Inhalt der Rumbuddel. Dementsprechend lustig ist der ganze Prozess, wir lachen und scherzen viel, tauschen Geschichten und Erfahrungen aus und am Ende des Prozedere planen wir für das nächste Wochenende gemeinsam ein Schwein im traditionell polynesischen Erdofen „Umo“ zu brutzeln.
Am nächsten Tag steht auch schon „Tiu“, die Dame von der Telefongesellschaft, mit ihrer kleinen Tochter vor unserem Boot und fragt, ob sie uns helfen kann. Wie selbstverständlich füllt sie unsere Kanister mit Wasser und kehrt am Nachmittag noch mit einer dicken Bananenstaude, Papayas, Zitronen und ein paar frisch gekochten Krebsen zurück. Nach einer Ewigkeit mit lediglich Zwiebeln, Knoblauch und Kokosnuss als Frischzeug ein göttliches Geschenk für uns! Und prompt werden wir auch schon am nächsten Morgen von „O“ zum Gottesdienst abgeholt, es ist Sonntag und der wird in Tonga sehr, sehr ernst genommen. Die Gemeinde ist ordentlich herausgeputzt mit ihren Bastmatten, Röcken und Fächern und freut sich sichtlich, uns in ihrer Mitte zu sehen. Bis auf die paar an uns gerichteten Worte des Priesters in Englisch verstehen wir natürlich nur Bahnhof, aber die unglaublichen polynesischen Gesänge jagen uns einen Schauer nach dem anderen über die Haut. Wir schweben dahin zwischen der perfekten Mehrstimmigkeit der unfassbar komplexen Choräle, die tiefen Bässe der grossen, wuchtigen tongaischen Männer werden umspielt von den hohen mehrstimmigen Melodien der Frauen und Kinder, kein Textblatt ist zu sehen und doch ist kaum eine schräge Stimme zu hören. Zwar fühlt sich der Gottesdienst hier irgendwie strenger und nicht so locker und leicht wie in Französisch-Polynesien an und wir denken darüber nach, dass die Menschen um uns herum ohne die katholischen Missionare wahrscheinlich nur in ihren luftigen Bastmatten um uns sitzen würden statt in ihrer absolut nicht klimakompatiblen Sonntagskluft schwitzen zu müssen, doch die Gesänge sind nochmal eine Steigerung und deshalb sind wir ja eigentlich auch hauptsächlich mitgekommen!
Zurück im Dorf warten auch schon die nächsten Einladungen auf uns, die Männer des Dorfes wollen uns gern bei einer ihrer täglichen Kavazeremonie begrüssen. Kava ist eine leicht berauschende Wurzel die unter anderem in Tonga traditionell zubereitet und getrunken wird und was des Deutschen Kneipengang ist, ist des Tongaers Kavaabend. Aber erstmal sind wir einfach noch viel zu müde vom letzten Törn und verschieben das ganze nach hinten. Smutje ist auch noch am grübeln wie er die Kavajungs davon überzeugen kann vom aktuell laufenden Rugbycup auf die Fussball-WM umzuschwenken, wir werden sehen…
Und wie war der Segeltrip nach Tonga? Nachdem wir uns wirklich wieder auf das Fahrtensegeln gefreut hatten, waren die Törns schlichtweg anstrengend und zum abgewöhnen. Im unmöglichen Schwell rumpelten wir krachend und quietschend von Bora-Bora nach Mopelia. Auf den 600 Meilen von Mopelia nach Suwarrow schlief nach sechs Stunden der angesagte Wind ein und wir kämpften eine Woche mit schlagenden Segeln, wechselnden Leichtwinden und finsteren Regenböen. Die 700 Meilen von Suwarrow nach Niuatoputapu bescherten uns immerhin zwei Tage guten Wind, Delfinbesuche und grandiose Sternenhimmel aber dann ging das gleiche Flautentheater von vorne los. Zwei Segellatten gingen verloren, ein langer Riss im Grossegel musste unterwegs gefIickt werden, Leinen schupperten durch. Immerhin gab es zwei dicke schöne Tunas an der Angel, aber oft lagen wir schimpfend und schwitzend in den Kojen und verfluchten das Segeln, einzig aufgemuntert von Hugo Wehners „Tagedieb und Taugenichts“, den es noch übler in dieser berüchtigten Wetterzone erwischte! Aber so ist das Fahrtensegeln, manchmal ist es zum Piepen und man fragt sich, wozu man die ganzen Strapazen eigentlich auf sich nimmt. Doch kaum ist der Anker gefallen, verfliegen die Strapazen, ist der Ärger vergessen, freut man sich dankbar und glücklich, einen dieser schwer erreichbaren Orte besuchen zu können. So ist es hier in Niuatoputapu und so war es zuvor auch auf den einzigartig schönen Zwischenstopps dieser Reise. Die abgelegenen Atolle Mopelia und Suwarrow waren nochmal ein absoluter Höhepunkt unsere Reise, aber davon werden wir im nächsten Artikel berichten.
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Welch Freude von euch zu hören. Wie so oft ist es nach einer Anstrengung besonders schön. Genießt die Tage der Ruhe und Erholung. Ich denke oft an Euch. Grüßt mir den captain von dem man lange nichts mehr gehört hat. Ich denke sehr oft an Euch und treibe weiterhin das Hamster an.
Toller Bericht.
das freut uns sehr! vielen dank!