Keine Zeit für Tränen
Aber der Himmel bleibt voller Wolken
Urplötzlich Liebe und Fürsorge
Und meine Einsamkeit
Irgendwo in den Bergen
In der Nähe von den Sternen
Weit vom Meer
Aber das Meer, das ich sah
Hat mich wieder bekommen
Irgendwo in den Bergen
In der Nähe von den Sternen
Aber das Meer, das ich sah
Hat mich wieder bekommen
Weit vom Meer
Weit vom Meer
Weit vom Meer
Das Meer
„Far from the sea“ Lied der brasilianischen Sängerin Bebel Gilberto
Die INTI liegt gut verzurrt in der Jacaré Marina und wir entschliessen uns, den Mikrokosmos der Seglergemeinde für eine Weile zu verlassen und in unsere alte Reisewelt abzutauchen. Die der Traveller, Tramper, Backpacker und Neohippies.
Zuvor wird aber noch ein grossartiger Grillabend mit der gesamten Marina veranstaltet. Es gibt was zu feiern: Camille sticht in See! Camille ist eine Französin Anfang 20, die mit einem geschenkten, super einfach ausgestattetem 22 Fuss großen Segelboot direkt, allein und nonstop nach Frankreich segeln will. Wir stellen wieder einmal fest, dass die Franzosen die Verrücktesten unter den Seglern sind. Sobald ein Pott schwimmt und segeln kann, werden Kind und Kegel eingepackt und los gehts auf grosse Fahrt, gern auch in abgelegene Gebiete abseits der typischen Segelrouten. Wir finden das auf jeden Fall sehr sympathisch!
Am nächsten Morgen geht´s dann los, ein Stückchen nordwärts nach Pipa. Den Tipp haben wir von Aksel bekommen, der mehrere Jahre in Brasilien gelebt hat. Aksel ist sozusagen aus beiden Reisewelten. Er ist Segeltramper und reist gerade mit auf einem dänischen Katamaran rund um den Atlantik. Pipa ist ein Volltreffer, ein entspanntes Städtchen, an das sich diverse Strände schmiegen. Es gibt Strände mit Wind und Wellen, an denen sich die Wellenreiter und Kitesurfer tummeln und geschützte Buchten, in denen man gemütlich und begleitet von Delfinen (auf portugiesisch „Golfinho“) schwimmen und entspannen kann. Und wir wundern uns über diese Art von Delfinen, die sogenannten Guyana-Delfine. Wir haben ja auf unseren Fahrten schon unzählige Begegnungen mit Delfinen gehabt, die uns stundenlang begleiteten, mit unserem Boot spielten und fröhliche Pirouetten drehten. Aber diese Delfine sind sehr, sehr lahm und langsam. Ab und an strecken sie ihre Flosse raus, um gleich wieder im Meer zu verschwinden. Da kamen unterschiedliche Theorien auf. Da sie sehr fotoscheu waren, überlegten wir, ob wir es vielleicht mit Delfinvampiren zu tun haben. Auch waren sie sonntags, wenn die Ausflugsboote nicht fuhren, einfach nicht da. Werden dann die Batterien rausgenommen oder die Fernsteuerung beiseite gelegt? Wir wissen es nicht. Eine eigenartige Spezies. Trotzdem ein guter Ort um die Seele baumeln zu lassen. Pipa ist aber auch ein Backpackerzentrum und, ähnlich wie unter Seglern an einem Ankerplatz, werden hier die Erfahrungen unter den Rucksackreisenden ausgetauscht. Unser Hostel scheint der Ort dafür zu sein. Traveller kommen von Nord und Süd, aus Brasilien, England, Deutschland, Marokko, Kolumbien oder Argentinien und nach ein paar Tagen wissen wir mehr über das Land und die lohnenswerten Ziele in Brasilien als jegliche Reiseführer bieten können. Wir fallen etwas aus der Reihe mit unserem Segelboot und bekommen von unserem neuen kolumbianischen Freund die Krone aufgesetzt. „The craziest traveler ever“. Nicht ohne Stolz müssen wir immer und immer wieder den verschiedenen Gästen des Hostels die Geschichte unserer bisherigen Reise erzählen. Erstaunt stellen wir fest, dass sich die meisten Rucksackreisenden in Brasilien praktisch auf der Flucht befinden. Zur WM steigen die Preise ins Absurde, also gehts ab in die Nachbarländer. Wie gut, dass wir unsere INTI haben! Am Wochenende kommen dann noch die brasilianischen Wochenendausflügler und einige Europäer, die in Brasilien arbeiten, dazu, der Grill wird angeworfen, Alkohol fliesst in Strömen und wir lernen, dass in Brasilien ein Strand nicht nur ein Strand ist, sondern ein Lebensgefühl! So schleifen uns die Brasilianer noch zu Livekonzerten und Sambapartys. Es wird Hüfte gewackelt, schwer gebalzt und ordentlich Cachaça draufgegossen. Ein Sonntag an einem brasilianischen Strand ist dann auch wie ein Neujahrsmorgen in Berlin. Kleinäugig, etwas lichtempfindlich und ziemlich durstig. Wir beschliessen, unsere Weiterreise auf Montag zu verschieben.
Unser nächstes Ziel ist Olinda, eine schöne alte Kolonialstadt am Rande von Recife. Die Kolonialhäuser und Kirchen liegen zwischen Palmen und tiefgrünem Dschungel direkt am türkisblauen Meer. Die Stadt strahlt eine entspannte Künstleratmosphäre aus, überall gibt es bunte Häuser, Ateliers und jede Menge Street-Art. Abends kann man an den Straßenständen des auf einem Hügel gelegenen Hauptplatzes für kleines Geld leckere Tapiocas und Maracuja-Caipirinhas geniessen und zwischen Liebespaaren und Flanierenden auf die funkelnde Skyline von Recife blicken. Hier und da versucht ein geschichtenerzählender Gitarrenbarde einen schmalzigen Song an den Mann zu bringen und Capitanas neuer Freund, der Opa vom Caipistand, meint es gut mit ihr und schüttet so viel Cachaça auf den Saft der frischen Maracujas, dass wir statt zwei gleich drei Becher in die Hand gedrückt bekommen. Mit dem Saft der unglaublich leckeren frischen Maracuja auf den Lippen und dem Blick auf die entfernten Lichter der Stadt plätschert die lauwarme Nacht angenehm dahin. Ein weiteres neues Geschmackserlebnis bereiten uns die leckeren Tapiocas. Tapiocas sind eine Art Crepe aus Maniok, der mit verschiedenen süssen oder salzigen Leckereien gefüllt wird. Der Stand, an dem sich die meisten Menschen tummeln, war mal wieder ein Treffer ins Schwarze. Der Besitzer begrüsst uns per Handschlag wie der Oberkellner eines guten Restaurants und geleitet uns zu unserem Sitzplatz auf der nahegelegenen Mauer des Platzes. Seine Mädels bereiten derweil die Tapiocas zu. Kurz darauf bekommen wir die leckersten der Tapiocas unserer Reise serviert. Alle anderen Tapiocas danach waren nichts dagegen. Capitana nahm die Variante süss mit Kokos und Dulce de Leche und Smutje die Variante salzig mit Hühnchen, Käse und einer unaussprechlichen aber unglaublich leckeren Sosse, mjam! Nach einem weiteren Caipi-de-fruta-Dreierpack bei Capitanas Freund schaukeln wir mit etwas Seegang selig zurück ins Tal zu unserem Hostel. Leider scheinen die WM-Preise in Olinda schon angekommen zu sein, denn die Zimmerpreise sind ziemlich unverschämt. Also geht´s am nächsten Abend weiter mit dem Nachtbus nach Salvador da Bahia.
Salvador erwartet uns mit der vollen Breitseite einer brasilianischen Großstadt. Verkehrsstaus, krasse Gegensätze zwischen den Favelas der Armen neben den bewachten Hochhäusern der Reichen, Shoppingcenter und chaotische Einkaufsstraßen und mittendrin die berühmte historische Altstadt. Wir müssen uns erst daran gewöhnen, es ist lange her, dass wir eine Großstadt betreten haben und die Großstadthektik zieht wie in einem Zeitraffer an uns vorbei. Eigentlich war Salvador Smutjes Topziel in Brasilien, denn er hat ein Faible für brasilianische Musik und die afrobrasilianische Kultur, mit ihren Beats, Capoeira und Candomblé. Da ist Salvador das Ziel, es gilt als das Zentrum der schwarzen Kultur Brasiliens. Doch wir stellen fest, dass wir ziemlich froh sind, nicht hier, sondern im relaxten Cabedelo mit dem Boot angekommen zu sein. Das wäre einfach zu viel Hektik nach einem halben Jahr Insel- und Seeleben gewesen. Es wurmt uns zwar schon ein bisschen, in einer Hafenstadt mit dem Bus anzukommen und ein Zimmer zu mieten, doch was soll´s, im Vergleich zu dem hektischen, an einer Schnellstrasse gelegenen Hafen hier ist Cabedelo ein wahrer Kurort, definitiv der bessere Platz nach 16 Tagen auf See. Allerdings ist in Cabedelo auch nicht mehr los als in einem Kurort und so geniessen wir zwei Tage urbanes Leben. Wir sehen krasse Gegensätze, aber auch mal wieder Studenten und bunte Großstädter, stolpern in eines der vielen Umsonst-und-Draußen-Konzerte und klappern ein paar der unterschiedlichen Stadteile mit dem Bus ab. Komischerweise scheinen es die wohlhabenderen Salvadorianer, im Gegensatz zu den Berlinern, zu bevorzugen, in bienstockähnlichen Hochhaussiedlungen zu wohnen statt in den wunderbaren Altbauten der Stadt . Viele der alten Prachtbauten verrotten traurig in Toplage, direkt an der Hafenfront. Nach zwei Tagen stellen wir fest, dass wir endgültig Land-, äääh, Seeeier geworden sind, uns reicht´s und es geht wieder ab in die Natur!
Und was für eine Natur! Unser nächster Stopp entpuppt sich als der schönste der ganzen Reise. Lencois, in der Chapada Diamantina, ist ein Dorf, das seine Blüte in der Zeit der Diamantengräber hatte und jetzt seine zweite Blüte mit Aussteigern, Backpackern und Ausflüglern erlebt. Das Dorf mit seiner tiefenentspannten Atmosphäre liegt an einem Gebirgsfluss in einem wunderschönen grünen Tal. Die wahren Schätze liegen allerdings in der Umgebung. Tafelberge, Tropfsteinhöhlen, Wasserfälle, Flüsse und natürliche Pools zu Baden, alles eingepackt in einen dichten Wald voller Affen, Leguane, Schmetterlinge und Blumen. Ein Paradies, in dem wir fünf Tage hängenbleiben, durch die Berge streifen, in Flüssen und unter Wasserfällen baden und in Grotten absteigen. Im Dorf Lencois ticken die Uhren langsam, nur die Naturfreaks, Mountainbiker und Freeclimber bewegen sich in einer gewissen Geschäftigkeit. Es ist geprägt von Alternativtourismus und hängengebliebenen Ausländern, die alle ein wenig von ihrer Kultur mitgebracht haben. So werden wir, als wir eines Abends ausgehungert in das Cafés eines Österreichers stolpern, von leckersten selbstmachten Spätzle mit Gulasch überrascht. Futtern wie bei Muttern mitten in Brasilien!
Der Rückweg wird mal wieder eine Herausforderung für unser Sitzfleisch. Knapp 30 Stunden juckeln wir im Bus gen Heimat. Oder sollte man besser sagen im Kühlschrank? Die Klimaanlage läuft auf jeden Fall mal wieder volle Pulle und wir frieren, während draussen die verschiedenen Facetten der Tropen an uns vorbeirauschen. Aber egal, auch wenn sich anderthalb Tage im Bus deutlich härter anfühlen als 16 Tage auf See, sind wir gut drauf. Wir freuen uns auf unser Zuhause, die INTI und das Meer. Bald werden wir die Leinen loswerfen und weitersegeln, zu den Stränden und Buchten im Norden und Richtung Amazonas, der Mutter aller Flüsse!
Während ihr in tropischen Gefilden weilt, ziehen wir regelmäßig durch die norddeutsche Tiefebene nach Worphausen, weiße Birkenstämme in Reih und Glied anstelle gewaltiger Wasserfälle, statt Caipirinha Küstennebel……
Nur Schilfhalme wiegen sich an den kleinen Tümpeln im Moor oder Wollgras mit seinen weißen Federbüscheln.
Am Hammestrand ziehen Torfkähne vorbei und in der Hammehütte gibt es Matjes und Kartoffelsalat und außer Bier natürlich Moorwasser ……. Welch ein Kontrast!