Seit ein paar Tagen ist es türkis, einfach unglaublich türkis. Hier und da mal der grüne Tupfer einer Miniinsel mit Mangroven, ein Fetzen weisser Strand aber dann wieder türkis, endloses Türkis. Wir schlängeln uns durch die Jardines de la Reina, ein 3800 Quadratkilometer grosser Meerespark voller Riffe und unbewohnter kleiner Inseln. Das Ganze steht unter Naturschutz und verspricht intakte Korallenriffe, viel Fisch und anderes Meeresgetier. Bisher haben wir im Park noch nicht viel davon gesehen, denn wir haben uns in Tagesetappen auf der Rückseite der Hauptkette hochgearbeitet. Da gibt es kaum Wellen, was das Segeln traumhaft macht, aber durch die Landeffekte legt sich hier auch der Wind nachts schlafen. Morgens brist es dann wieder auf und es kann weitergehen. Auf dieser Seite war das Wasser um die Mangroveninseln eher trüb, aber seit gestern sind wir durchs Hauptriff auf die Aussenseite und es wird immer klarer und bunter. Einen ersten Eindruck davon hatten wir schon am Cabo Cruz, wo wir geschützt durch ein buntes Korallenriff direkt vor dem alten, grossen Leuchtturm des Kaps ankerten. Uns gefiel es so gut, dass wir gleich drei Nächte dort blieben, schnorchelten und Smutjes Geburtstag feierten. Omas traditioneller Apfelkuchen vorm Korallenriff im türkisblauen Meer! Naja, mangels Äpfeln war er diesmal mit Mangos und Ananas gefüllt, mit Limettensaft und Rum beträufelt, passend zum Ambiente, und auch so unglaublich lecker!
Doch zurück in die Zivilisation, über zwei Wochen waren wir in Santiago de Cuba. Zeit, um sich an das völlig andere Leben hier zu gewöhnen, Zeit um sich mit anderen Seglern auszutauschen, Zeit um das Nötigste zu reparieren und natürlich Zeit, um diese verrückte Stadt zu entdecken. Santiago ist voller Gegensätze. Auf der einen Seite der Smog von jahrzehntealten Dieselmotoren der zu Bussen umgebauten Laster, glühende Hitze und durch Hurrikane und fehlende Materialien schwer angeschlagene Gebäude. Auf der anderen Seite Perlen kolonialer Architektur, die Romantik der durch die Strassen cruisenden 50er-Jahre-Schlitten und Pferdekutschen sowie die schrägen sozialistischen Bauten, die man eher in Ostdeutschland vermuten würde. Dem oft harten und entbehrungsreichen Leben der Menschen, den zahlreichen aufdringlichen und ziemlich nervenden jineteros (Schlepper, die einen von Taxi und Restaurant über Rum und Zigarren bis zur Hure alles mögliche andrehen wollen) stehen eine unglaubliche Offenheit und Freundlichkeit, ein extrem hoher Bildungsstand und kaum Kriminalität gegenüber. In Kuba braucht man sich wenig Sorgen machen, überfallen zu werden, von einem der raffinierten Tricks der Jinateros beschissen wird man aber auf jeden Fall. Nicht einfacher machen es die zwei Währungen, von der eine fünfundzwanzigmal soviel wert ist als die andere. Wenn man nicht penibel aufpasst, wird aus dem ausgehandelten Preis im vermeindlich billigen Peso am Ende der Teure. Auch wir gehen dem immer mal wieder auf den Leim, obwohl wir schon so viele Länder bereist haben in denen die Schlepper auch nicht ohne waren. All das verwirrt, strengt manchmal an und wir brauchen ein wenig, um uns zu akklimatisieren, doch wir sind trotzdem fasziniert von dieser vielseitigen Insel, die so ganz anders ist als ihre karibischen Nachbarn.
Hatten wir doch auf den kleinen Antillen oft nach kleinen Snacks am Strassenrand gesucht und diese aber selten gefunden, so können wir uns in Santiago für richtig kleines Geld durch die Strassen futtern. Meistens ist es nur ein kleines Fenster, durch welches unglaubliche Leckereien verkauft werden. So futtern wir uns zunächst durch die Strassen und Gassen, essen hier eine kleine Pizza für umgerechnet vielleicht 15 Cent, essen dort ein mit Spanferkel belegtes Brötchen oder geniessen ein süsses Churro, eine Art Schmalzteig, gefüllt mit einer Vanillemasse. Eiscafés gibt es hier auch in Hülle und Fülle. Und anders als in Ostdeutschland gibt es hier kein Softeis sondern echte Eiskugeln. Nach einem heissen Tag durch Santiagos dampfende Gassen geniessen wir jeder einen Eisbecher in einem der luftigen Cafés. Die Kubaner scheinen Eis zu lieben, der Andrang ist enorm und wer nicht im Café sitzt kauft das Eis am Stand davor. Nicht eine kleine Waffel auf die Hand, sondern kübelweise! Wir bestellen uns aus der grossen Karte jeder einen Becher, doch na nu, was ist denn das? Als das Eis serviert wird, stellt sich heraus, dass der einzige Unterschied darin besteht, dass in Capitanas Eis ein riesiges Kuchenstück steckt, ansonsten kein Unterschied. Macht aber nichts, das Eis schmeckt einfach gut. Nebenan entdecken wir ein anderes Eiscafé, es ist herrlich sozialistisch gestaltet, fast fühlen wir uns an einige Bauwerke im ehemaligen Ostberlin erinnert. A propos Kuchen und Torte, auffällig ist auch, dass hier viele Menschen knallbunte Torten vor sich hertragen, jeden Nachmittag sehen wir etliche davon. Aber wir beschäftigen uns nicht nur mit Essen.
Am Busbahnhof von Santiago versuchen wir, ein Ticket nach Baracoa zu bekommen. Wir werden an den Nachbarschalter verwiesen, hier fahren nur Busse für Touristen, wir dürfen nicht mit den lokalen Transportmitteln fahren. Und das hat dann auch seinen Preis, der ist zwar nicht überdimensioniert, aber doch das zehnfache vom lokalen Bus. Raus aus dem Getümmel vom Busbahnhof landen wir direkt auf der Plaza de la Revolucion. Hier kommen wir uns klein und verloren vor, angesichts des großen Reiterdenkmals von Antonio Maceo, dem gigantischen Vorplatz, den gewaltigen Stelen, die sich bombastisch vor der Bergkulisse abheben. Direkt daneben stehen wir vor dem Teatro Heredia, welches das Abbild von Camillo Cienfuegos, einem der Revolutionshelden ziert. Nun wollen wir weiter zum Cuartel Moncada, einem bedeutendem Schauplatz auf dem Weg zur Revolution. Schon der Blick auf die nun als Schule dienende alte Kaserne ist geschichtsträchtig. Versehen mit etlichen Einschusslöchern, die wohl auch pfleglich restauriert werden, empfängt uns die gewaltige Kaserne mit ihrem Museum. Das reisst uns nicht so sehr vom Hocker, findet man hier neben etlichen unscharfen Fotos noch einige Waffen und Kleidungsstücke der Revolutionäre, der zunächst missglückten Revolution von 1953. Wir machen uns auf zum Cemeterio Santa Ifigenia, denn auch hier liegen so einige der grossen Helden vergraben. Doch ersteinmal müssen wir dorthin kommen. Wir laufen runter zum grossen Hafen von Santiago und setzen uns in eine Pferdekutsche, die uns aber nicht ganz zum Friedhof bringt. Ein Stück müssen wir laufen, denn auch hier hat der Hurrikan ?Sandy? üblen Schaden angerichtet, Strassenzüge werden gerade wieder aufgebaut, wir laufen staubige, unbefestigte Wege entlang, überall ragen ruinöse Gebäude hervor. Der Friedhof überrascht durch seine Monumentalität. Geblendet vom vielen Weiß der Grabsteine in der Mittagssonne kämpfen wir uns die Gräberreihen entlang. Für den Freiheitskämpfer Martí ist ein gewaltiges Mausoleum errichtet worden. Wir setzen uns davor, um uns kurz auszuruhen, doch pronto werden wir von einem Wächter verscheucht. Hier darf man nicht sitzen, Martí ist den Kubaner heilig. Also weiter. Wir finden noch das Grab vom legendären Compay Segundo vom ?Buena Vista Social Club?, dann wird es Zeit zu gehen. Vergeblich suchen wir nach einer Bushaltestelle, einem Taxi oder einer Kutsche. Doch da-da steht ein Bus und Leute, die von einem Begräbnis kommen, aber keiner trägt schwarz, schlurfen mit Trauermiene hinein. Der Bus bringt uns in die Stadtmitte und kostet-nichts! Er war wohl für die Trauergäste, aber wir wurden trotzdem freundlich reingewunken, ohne uns was dabei zu denken.
So ist es im Übrigen auch morgens mit unserem Bus nach Santiago. Zweimal hatten wir Glück und wurden für einen Preis, den man nicht einmal in Eurocents umrechnen kann, mit nach Santiago genommen. Die anderen Tage standen wir oft lange und warteten, wie die vielen anderen Menschen auch. Wir kommen hier und da in kleine Gespräche, erfahren, dass die Marinamitarbeiter im Monat 25 Euro verdienen und vieles über das Leben hier. Es kommt irgendwann ein Bus, der auch nach Santiago fährt, es ist nicht der reguläre, es ist einer für Arbeiter und Militärs und der kostet auch nichts. Als wir beim ersten Mal nachfragen, werden wir fast ausgelacht, die nächsten Male schallt uns dann der lachende Ruf:? Diez Pesos!? entgegen, die wir natürlich nicht bezahlen müssen. Irgendwann sitzen wir dann im Bus nach Baracoa. Es ist ein neuer Bus, auch in China hergestellt, wie die Stadtbusse. Klimatisiert ist er auch. Er bringt uns über die hübsche Bergkulisse an Guantanamo vorbei, durch die trockenen Ausläufer der Sierra Maestra, dann in wilden Serpentinen über die Gipfel der Cuchillas del Toa in den unglaublich grünen und fruchtbaren Nordwesten der Insel.
Die Busfahrer haben an jedem Stop ihre connections, sie laden mal hier, mal da ein paar Eier, ein Glas Honig, Brot und andere Dinge ein. Der Bus quetscht sich durch die Gassen von Baracoa. Muss er doch direkt durch den quirligen Karneval hindurch zum Endbahnhof. Wir staunen nicht schlecht, alles ist voller Buden und Fressstände. Da wollen wir gleich hin! Doch erstmal zu unserer casa particular, einer neueren Errungenschaft im Privatbusiness. Familien oder andere Privatleute können Zimmer an Touristen vermieten. Zwar erfahren wir, dass die Steuern darauf immens sind, aber doch hält es die Leute nicht davon ab, privat zu vermieten. Wir beziehen unser Zimmer, welches sehr gut ausgestattet ist, Kühlschrank, ein Bad mit Klo und Dusche, Aircondition, ein festes Bett, das Ganze für umgerechnet 18 Euro. Wir ruhen uns kurz aus, bevor es uns auf den Karneval zieht. Er findet direkt am Malecón, der Strandpromenade statt. Wir staunen über die vorsintflutlichen klapperigen Kinderkarusselle, doch die Kinder haben Spass, kreischen vor Freude und wir freuen uns mit. Überall gibt es grosse Bierbecher aus Plastik zu kaufen, für das aus riesigen Fässern gezapfte Bier. So kaufen auch wir einen Plastikhumpen, um das Bier mal zu testen, es ist kühl und hat einen leicht blechigen Beigeschmack. Wieder futtern wir uns durch die Stände, ein Spanferkelbrötchen nach dem anderen verschwindet in unseren hungrigen Mägen. Und natürlich ist überall Musik. Hier hört man Raggatón, es wird ausdrucksstark getanzt. Zurück in die hübsche kleine Altstadt. Wir schlendern durch die kleinen Gassen, entdecken viele sozialistische Motivationssprüche an den Mauern der alten Kolonialhäuser. Überall wird freundlich gegrüsst, langsam, langsam scheint der Alltag hier abzulaufen, Fahrradfahrer schleichen an uns vorbei und die aus Santiago bekannten wilden Mopedfahrer fehlen hier völlig. So verpassen wir auch völlig das Osterfest, welches hier absolut keine Bedeutung hat, nur durch Zufall erfahren wir davon. Nach einer schlaflosen Nacht (die Bühne mit der semi-guten Musik scheint unter unserem Kopfkissen zu sein) beschliessen wir, wieder zurück zu unserer INTI zu fahren, um unseren Trip durch die unbewohnten Jardines de la Reina vorzubereiten.
Leider können wir über Kurzwelle keine Fotos mitschicken. Wer trotzdem Bilder schon sehen möchte, kann das auf der Seite: www.facebook.com/radiopelicano Wenn wir wieder Internet haben, werden wir Fotos nachreichen! 17.04.2015 – 22:48 utc 21°02.52’N 079°19.17’W ===== This message was sent using Winlink, a free radio email system provided by the Amateur Radio Safety Foundation and volunteers worldwide. Replies to this message should be brief using plain text format and any attachments kept small. Commercial use or use of this email system for monetary gain is strictly forbidden. See www.winlink.org/help for additional information.
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