Doch nun endlich Landgang! Nach acht Tagen auf See sind die Beine schlapp und wollen laufen. Aber erstmal müssen wir einen Parkplatz fürs Dingi finden, garnicht so leicht, denn der Hafen ist unglaublich dreckig und müllig und bietet keinen Steg zum festmachen. Glücklicherweise dürfen wir an einem rostigen alten Versorgungsschiff festmachen und wir vier betreten freudig Land. Wir haben uns vorsorglich ordentlich mit Moskitospray eingedieselt, man weiß ja nie. Nach ein paar Schritten bemerken wir, dass wir von Fliegenschwärmen umnebelt sind, wie eine schwarze Aura begleiten sie uns. Pfui, ihhh, wir sind zwar nicht wirklich gewaschen, aber wir stinken doch nicht! Und sind auch noch gegen Insekten imprägniert! Wir gewöhnen uns dran und langsam wird auch deutlich, warum hier so viel Zeugs rumfliegt, Müll liegt überall herum, am Bein festgebundene Schweine liegen im Dreck vor den Häusern und es riecht nicht wirklich appetitlich.
Wir begegnen einem australischen Menschenjäger-Paar, sie rekrutieren überall im Pazifikraum billige Arbeitskräfte für Altenheime und Pflegestationen. Sie zeigen uns ein chinesisches Restaurant und gut gesättigt fallen wir in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Tag besorgen Smutje und Thomas das Permit, um das Nachbaratoll Abaiang anlaufen zu können und wir ankern um, denn hier vor der überbevölkerten Hauptstadt Betio ist es uns zu trubelig.
Wir verlegen uns vor das niedliche Parlamentsgebäude. Am Anfang dürfen wir noch bequem an deren Steg festmachen und es gibt sogar eine öffentliche Dusche! Welch ein Genuss! Doch der Spass hält nicht lang, da eine zweiwöchige Sitzung der Abgeordneten stattfindet dürfen wir nicht mehr anlegen und müssen weiter durch einen kleinen Kanal und über einen Strand an Land gehen. Strand hört sich erstmal gut an, doch dieser ist die öffentliche Toilette. Direkt am Parlament sehen wir wirklich elende Zustände, die Menschen kacken ins Wasser und an Land, es gibt selbstverständlich keine Kanalisation und Tarawa ist hoffnungslos überbevölkert. Wir hören, dass die Lagune einen tausendfachen Gehalt an Kolibakterien hat. Sie schimmert in den schönsten Grün- und Bautönen, doch wir mögen nicht baden. Obwohl Smutjes Schnitt gut verheilt trägt er besser auch an Land einen Verband.
Wir beschliessen, uns die blutige Geschichte Tarawas genauer anzusehen. Thomas von der „Robusta“ organisiert eine Tour zu den Schauplätzen des Gemetzels der US-Amerikaner mit den Japanern 1943. Molly, eine I-Kiribati (wie die Einheimischen genannt werden) zeigt uns diese mittlerweile skurrilen Orte. Wir stehen in den Gärten von Familien, wo Bunkerreste langsam von der Natur eingenommen werden, sehen Geschützstellungen, die als Toiletten benutzt werden und Bunker auf deren Dächern Holzhütten stehen. Überall stehen noch rostige FLAK und MG Fundamente herum, auf manchen stapelt sich der Abwasch an anderen baumelt munter die Wäsche. In einem Hinterhof liegt ein Flugzeugpropeller, im nächsten Garten steht eine gewaltige Kanone. Die tropische Natur verwischt die Spuren, doch ein wirklich grausamer Dokumentarfilm zeigt uns, was hier wirklich los war. Die einheimische Bevölkerung wurde zwar umgesiedelt, um den Kriegsspielen der Grossmächte Platz zu machen, doch so einige erwischte es dennoch. Was für ein Wahnsinn! Wir sehen Bilder der Lagune mit tausenden von Leichen und wir hören, dass die Amis heute wieder nach den Knochen ihrer gefallenen Soldaten suchen, da die Insel eventuell bald dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fallen könnte und sie ihre Soldaten nicht dem Meer überlassen wollen. IRRSINN! Wir können es nicht fassen, wie mit den so harmlosen Pazifikbewohnern umgegangen wurde, in Französisch-Polynesien und auf den Marshalls wurden Atombomben getestet, hier wurden friedliche Inseln zum Schauplatz blutiger Gefechte.
Wir sind unglaublich deprimiert aufgrund der Lebensumstände hier, doch immer wieder erstaunt, wie freundlich und fröhlich die Menschen sind, von Endzeitstimmung keine Spur. Es mischt sich Trauer und Wut in uns und auch Schuldgefühl darüber, was mit den Menschen hier passiert. Erst spielen wir Krieg und sprengen ihre Inseln in die Luft, jetzt überziehen wir sie mit unserem Plastikmüll ohne uns Gedanken zu machen, wie sie den eigentlich wieder loswerden können und dann blasen wir auch noch so viel Dreck in die Luft, dass Klimaveränderungen, steigender Meeresspiegel und zunehmende Stürme dafür sorgen, dass die ohnehin schon karge Landmasse einfach weggespült wird. Wir, das sind die Industrienationen, die gemütlich in ihrer Wohlstandsgesellschaft hausen, Kiribati? Nie gehört!
A propos Müll: wir wissen nicht, ob es wirklich klappen kann, aber es gibt ein Projekt zur Landgewinnung unter Verwendung des Mülles hier. Und nebenan einen öffentlichen Park, der liebevoll aus Müll hergestellt wurde und von den Einheimischen rege genutzt wird. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man diesen Park schön und kreativ gestaltet nennen, doch es treibt uns fast die Tränen in die Augen.
Als wäre es so nicht schon schlimm genug, jagen hier auch noch alle erdenklichen Freikirchen nach neuen Anhängern und reden den Menschen ein, dass Verhütung Teufelswerk ist. Tarawa ist einer der überbevölkertsten Orte der Erde, über 63.000 Menschen leben hier dicht an dicht auf 32 Quadratkilometer Landfläche, Tendenz steigend. Den Kirchen ist es egal, denn Gott wohnt hier am Schönsten. Die unzähligen Religionsgemeinschaften haben herrliche Kirchen für ihre Schäfchen gebaut, die selbst in wackeligen Unterständen wohnen. Andererseits finanziert die Kirche auch Projekte zum Anbau von Obst und Gemüse. Wir machen an einem Schild Stopp, auf dem „Learning Garden“ steht. Der Betreiber erklärt uns eine Methode, wie man aus den Fasern der Kokosnuss fruchtbare Erde herstellen kann, denn der Boden besteht ja aus Korallenschutt und hat kaum Nährgehalt. Stolz bietet er uns eine sagenhaft schmeckende Honigmelone und frische Kokosnüsse an. Die Menschen haben kaum Zufuhr von Vitaminen, es wächst etwas Papaya, Brotfrucht, Kokosnuss. Aus Australien oder Asien wird gekühlter Kohl eingeflogen oder geschifft, ab und an Möhren oder Äpfel. Und das kostet Geld! Ein Kilo Kohl kostet umgerechnet etwa 5 Euro!
Es war uns wichtig, mal einen Blick in diese fast schon apokalyptische Welt zu werfen, deren gebeutelte Menschen uns trotz all der Missstände dennoch mit einer unglaublichen Freundlichkeit empfangen. Auch das gehört unserer Meinung nach zum Reisen dazu. Es kann nicht immer nur Paradiese geben und es ist uns ein wirkliches Anliegen, auf die Bedrohung dieses ehemaligen Paradieses am Ende der Welt aufmerksam zu machen. Nach zehn Tagen wird es aber auch uns zu viel und wir verlegen auf das Nachbaratoll Abaiang. Hier empfängt uns ein komplett anderes Bild, doch lest mehr dazu in unserem nächsten Artikel.
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Hi, sehr beeindruckender Bericht, sehr gut geschrieben! Er wurde in fb geteilt, so entdeckte ich auch, dass euer Schiff Inti heißt.
Ich staunte nicht schlecht, da ich nicht vermutete, dass es ein weiteres Boot mit diesem Namen gibt. Unsere INTI🌞 liegt noch an der Ostseeküste und soll in einigen Jahren mit uns auf großen Törn gehen.
Wie seid ihr auf den Namen gekommen?
Alles Gute für euch und herzliche Grüße
Sabine